Königreich Weiden


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Tagebuch Larea

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Geschichten aus dem Westen Weidens


Aus dem Tägebuch der Larea Bleibtreu,
I. Jägerin der Baronessa zu Oberflurengefundenin
In den Ruinen des alten Herrenhauses nach dem großen Brand
verfasst im dritten Winter nach den Tagen des großen Krieges

In der Taverne Pestblüte in Hügelwacht tobt normaler Weise ab der Dämmerung,wenn die Bauern ihr Vieh wieder in Sicherheit wissen und die Kinder in den Betten liegen das Leben. Die Taverne ist über die Grenzen der kleinen Baronie schon bekannt geworden und so mancher Knecht oder Magt nimmt einen Weg auf sich, um hier ihr schwer verdientes Geld aus zu geben. Doch heute sitzen nur eine Handvoll Gäste in der Taverne und schauen Berübt in ihre Krüge. Am heutigen Tage ging zum Morgengrauen die Nachricht um, dass die alte Baronessa Mechthild von Bornhold im stolzen Alter von 74 Jahren verstorben ist. Sie hinterlies keinen Erben oder Erbin, so dass nun die Zukunft dieses Landstriches für alle Bewohner ungewiss ist und niemand weiß, wer sie nun über den Winter hin führen solle! So sitzen die wenigen Bauern betrübt in der Taverne, denn sie alle mochten ihre alte Dame, die immer schützend die Hand über sie hielt. Was wird bloß werden aus Oberfluren?

Larea, die gerade erst von einem Auftrag zurückgekommen ist, hat den Grund der Trauer noch gar nicht richtig mitbekommen. Das jemand verstorben ist hat sie zwar munkeln hören, sie ist jedoch niemand, der lange verweilt um Maulaffen feil zu hält, sondern gern allein ihres Weges geht und lieber für sich ist; sie hat halt einfach nicht gefragt, wer gestorben ist und nicht weiter zugehört. Als sie die Taverne betritt schlägt ihr die getrübte Stimmung entgegen. Sie schüttelt nur den Kopf, als sie die traurigen Blicke sieht und geht ungerührt zum Wirt hinüber, der ihren Wunsch schon kennt und ihr einen Becher mit Met reicht. Ein kurzes Kopfnicken und er schreibt ihr an. Mit dem Becher in der Hand geht sie zum Feuer hinüber, um sich zu wärmen, ihre Joppe beginnt schon nach kurzer Zeit zu dampfen. Als der Bauer neben ihr, ganz entgegen sein sonstiges Verhalten, seufzt, wirft die Frau ihm einen scheelen Blick zu und fragt knapp: "Was ist los? Hat Dir das Wetter aufs Gemüt geschlagen?" Er blickt sie fassungslos an und wischt sich gar eine Träne aus dem Augenwinkel. "Sehr witzig, Larea! Aber damit macht man nun wirklich keine Scherze! Unsere Herrin ist gestorben!" Larea läßt bei dieser Eröffnung fast den Becher fallen und der Boden scheint sich unter ihr aufzutun. "Was bitte?! Aber ...!" Voller Trauer denkt sie einen kurzen Moment an die Wachteln, die sie der Herrin schoß und die sie so liebte ... nun waren sie umsonst gestorben! Ein OH kam nur über ihre Lippen, dann starrte sie wieder in die Flammen. "Selbst das berührt Dich nicht, nicht war, Eisherz?"

Larea blickte den Bauern mit einem ausdruckslosen Gesicht an. Dann nahm sie einen tiefen Schluck. Sie wusste schon, warum sie von allen diesen Namen bekommen hatte, aber sie interessierte es nicht. Doch traf die Nachricht sie auch, obwohl sie es nicht zeigte, leidete ihr Herz sehr darunter. Sie hat die alte Dame immer sehr gemocht. Wie sie noch klein war, hat sie immer von ihr einen Keks bekommen, wenn sie ihrer Mutter in der Küche der Adligen half. Nur dieser eine Tag hatte alles verändert. Damals war sie zum Spielen hinuter in den Keller gelaufen. Dort hatte sie hinter einer Tür einen kleinen, schmalen Gang gefunden und war ihm gefolgt...Fast eine Ewigkeit scheint ihr der Weg durch den Gang, dann mündet er in einen kreisrunden Raum, an dessen gegenüberliegenden Ende sich ein riesiges vergittertes Tor befindet. Als sie näher tritt, hört sie plötzlich ein morsches Knacken unter ihren Schuhen. Sie sieht im Dämmerlicht der Fackeln an der Wand einige Knochen verstreut auf dem Boden liegen. Es regt sich Angst und Neugierde in ihr. Die Angst wird mit jedem zaghaften Schritt größer, aber auch ihre Neugierde, bis sie es nicht mehr aushalten kann und durch den Raum eilt.In diesem Moment erklingt ein dunkles Grollen und hinter dem Gitter in der Schwärze der Dunkelheit glimmen plötzlich zwei rote Augen. In diesem Moment kann Larea nicht mehr an sich halten. Warm lief es ihre Beine herab und sie rennt, will nur noch von diesem Ort fort. Immer schneller tragen sie ihre kleinen Füße … dann prallt sie gegen etwas Weiches. Eine Frau steht ihr im Wege.Atemlos sieht sie auf und erkennt die Baroness. … Wenn sie jetzt zurückdenkt, war sie auch damals schon alt…
Sie krallt sich in die Röcke der Frau, doch diese fasst ihre Schultern, dreht sie wie eine willenlose Puppe herum und schubst sie in die Richtung zurück,aus der sie gekommen ist, zurück in den grausigen Raum, zurück in die Dämmerung. Sie will sich zuerst wehren, doch der Griff der Baroness ist so fest, dass sie erkennen muss, dass sie keine Wahl hat. So ergibt das kleine Mädchen sich in ihr unvermeidliches Schicksal und lässt sich zurückführen. Sie erreicht wieder den Raum und wird unsanft hinein gestoßen … fällt haltlosund landet auf ihren Händen und Knien, und wenn das laufende Blut an ihren aufgerissenen Knien brennt, so merkte sie es nicht mehr. Sie sieht nur wie gebannt auf die roten Augen hinter dem Gitter, die sie unbeweglich anstarrten und meint, ihr letztes Stündlein hat geschlagen. Ein leises schnüffeln ist zu vernehmen und hinter ihr erklingt eine warme, weiche Stimme."Hörst du? Sie riecht dein Blut. Sie will nichts mehr als fressen. Wird sie entfesselt, so wird sie ausziehen zum fressen. Diese Gitter tragen mein Blut in sich und schützen so die Welt vor ihr. Sollte ich eines Tages sterben, so wird sie frei sein. Dann darfst du laufen. Doch heute ist der Tag, an dem ich sie füttern muss. Denn auch mein Leben hängt zu guten Teilen an dem dieser Bestie!" Aus einem Beutel in der Hand der Frau erklingt ein leises gackern."Und heute wird es deine Aufgabe sein, denn nun kennst du das Geheimnis Oberfluren und es liegt an dir es für dich zu behalten, sonst wirst du enden wie dieses Geschöpf." Sie greift in den Beutel und zieht ein großes Huhn hervor, an dessen Knöchel ein kleines rotes Schleifchen hängt. Tränen stehlen sich auf in die Augen des Mädchens, als sie erkennt, wen die Frau dort in den Händen hält. Es ist die Henne, die sie zu ihrem vorletzten Geburtstag von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte und die ihre beste Freundin ist, da die anderen Kinder sie wegen ihrer Körpergröße immer hänselten. Als Zeichen ihrer Freundschaft hatte sie Gishild, ihrer Henne ihre schönste Haarschleife geschenkt und heute Morgen umgebunden. Da erklingt wieder die Stimme und reisst sie aus ihren Gedanken."Nun, nimm sie und füttere mein Leben. Oder ich werde es mit dir füttern!" Die Stimme klingt dabei so warm und weich, als würde eine sorgende Mutter mit ihrem weinenden Kinde sprechen. Wie ein Blitz trifft Larea die Erkenntnis:entweder sie oder wir beide!! So nimmt das Mädchen das Huhn an den Beinen, streicht der großen Henne noch einmal zart über den Kopf und glättet die zerzausten Federn. Dann geht sie aufrecht auf das Gitter zu … hält die Henne durch die Gitterstäbe und läßt sie frei. Heiß rinnen ihr die Tränen die Wangen hinab und fallen auf die bleichen Knochen zu ihren Füßen. Es gibt nur ein kurzes schmerzerfülltes Gackern, dann fliegt in einem kleinen Bogen eine abgerissene Kralle aus der Dunkelheit direkt vor ihre Füße. Daran hängt noch mit Blut verschmiert die Haarschleife. Federn schweben aus der Luft wie blutiger Schnee. Das Gesicht des Mädchens ist mit Blut verschmiert, doch all dies nimmt sie nicht mehr wahr. Sie bückt sich nur, nimmt das Schleifenband auf,löst es vom Fuß, bindet es in ihre eigenen Haare und geht dann mit weiten Schritten aus dem Raum hinaus. Die liebevolle Stimme erklingt erneut hinter ihr und es hört sich an wie eine Mahnung."Heute in sieben Tagen werden wir uns hier wiedersehen, kleines Mädchen." Mit diesen Worten im Kopf verlässt sie die Kellergewölbe...Larea blickte wieder aus dem Schein des Feuers auf. Langsam rannen die zähen Tropfen ihre Wangen hinab. Warm waren sie und schmeckten nach Eisen, wie sie ihre Lippen küssten. Leise war das Knacken hinter ihr zu hören und ein letzter Atemzug streifteihre Wange, als der Bauer, mit dem sie gerade noch geredete hatte in sich zusammensackte. Sie drehte langsam den Kopf und sah ohne jede Regung in die ihr so vertrauten Augen. Ein warmes Rot strahlten sie aus. Warm, wie das Blut ihrer Mutter, wie es damals an ihrem sechzehnten Geburtstag langsam im Boden versickerte, nachdem sie im Wald von einem Bären bei der gemeinsamen Jagd angefallen worden war. Heiß stiegen ihr bei dem Gedanken an ihre Mutter die Tränen in die Augen. Ach würdest du nur leben, dann wäre alles so anders geworden, liebste Mama ...…
und die roten Tropfen auf ihren Wangen fingen an sich zu vermischen mit den salzigen Tränen, die nun aus ihren Augen rannen. Sie sah leise und still den Fängen des Monsters zu, wie sie sich langsam um ihren Hals legten und dort noch einen Moment ruhten, als würde das Wesen auf ihr Flehen, ihr Betteln und Bitten um ihr trauriges Leben warten, doch es kam kein Laut über ihre Lippen. Totenstille herrschte in der Taverne, nur das leise Tropfen des warmen Blutes der anderen Gäste und das ihrer Tränen durchbrachen diese. Und mit jedem Tropfen verrann eine weitere Sekunde des ihres Lebens in der weder das Wesen Anstalten machte, sie zu erlösen, noch wiederumsie anfing zu flehen.In diesem Moment des Wartens in der Stille krachte es an der Tavernentür. Das Wesen stürzte herum, ohne ihr dabei auch nur einen kleinen Schnitt mit den rasiermesserscharfenZähnen zuzufügen. Dann setzte es an und war mit wenigen langen Sätzen durch die Küchentür verschwunden. Laut hörte man das Krachen der hinteren Tür der Taverne.Ihre Tränen versiegten und sie wartet nun auf jenen, der das erwartete Ende noch einmal um ein paar wenige Herzschläge hinausgezögert hatte. Oder war er bereits draußen der Bestie zum Opfer gefallen? Sie wird wieder kommen, das wusste sie. Nie wird sie ihre Schwester verlassen...


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